Did you know?

Die europäische Kartoffel

Die Geschichte der europäischen Kartoffel – erzählt durch ihr Genom

Ursprung und Weg nach Europa

Die Kulturkartoffel (Solanum tuberosum ssp. tuberosum) ist die weltweit wichtigste nicht-getreidebasierte Nutzpflanze und ernährt über eine Milliarde Menschen. Ihre lange Geschichte begann vor rund 10.000 Jahren in den südamerikanischen Anden, wo Jäger- und Sammlergemeinschaften mit der Domestikation wilder Kartoffelarten begannen.

Um 1560 brachten die Spanier die Kartoffel nach Europa. Verschiedene Varianten dieser Pflanze wurden eingeführt, jede angepasst an unterschiedliches Klima und Tageslängen der Region im Andenhochland. Doch nur eine bestimmte Variante konnte sich erfolgreich an das europäische Klima anpassen – sie wird heute als Solanum tuberosum ssp. Tuberosum bezeichnet. Bis zum späten 18. Jahrhundert war sie ein etabliertes Grundnahrungsmittel in weiten Teilen des Kontinents.

 

Krise, Züchtung und genetische Engpässe

Ein bedeutender Wendepunkt war die große Kartoffelfäule  im 19. Jahrhundert, ausgelöst durch den Krankheitserreger Phytophthora infestans. Dieser pilzähnliche Krankheitserreger zerstörte die Ernten, besonders in Irland, und führte zu einer verheerenden Hungersnot sowie massiver Auswanderung. Infolge dieser Krise begannen Züchter, kultivierte Kartoffeln mit wilden Verwandten zu kreuzen, um Resistenzen gegen Krankheiten wie die Kraut- und Knollenfäule zu stärken.

Trotz jahrhundertelanger Kultivierung und Anpassung ist die genetische Geschichte der europäischen Kartoffel durch schwere genetische Flaschenhälse geprägt – Ereignisse, die die genetische Vielfalt drastisch reduzierten. Diese Verringerung begann mit der anfänglichen Domestikation, fortgeführt durch Anpassung an das europäische Klima und verstärkt über 150 Jahre intensiver Züchtung mit nur wenigen ausgewählten Sorten. Diese sogenannten genetischen Flaschenhälse führten zum Verlust seltener Varianten und einer begrenzten genetischen Vielfalt.

 

Ein genetisches Paradox

Eine kürzlich in der Fachzeitschrift Nature veröffentlichte Genomstudie offenbart ein interessantes Paradoxon: Die DNA europäischer Kartoffeln weist eine ungewöhnlich hohe Anzahl genetischer Unterschiede auf – besonders in bestimmten Regionen – und übertrifft damit die Diversität anderer Kulturpflanzen deutlich. Diese überraschende genetische Vielfalt ist hauptsächlich auf die wiederholte Einkreuzung wilder Kartoffelarten in kultivierte Sorten zu verschiedenen Zeitpunkten der Geschichte zurückzuführen.

Allerdings konzentrieren sich viele dieser Unterschiede auf wenige vererbte DNA-Blöcke, was bedeutet, dass es insgesamt nur eine begrenzte Anzahl wirklich unterschiedlicher genetischer Kombinationen gibt. Dieses Zusammenspiel aus genetischem Verlust durch selektive Züchtung und genetischer Bereicherung durch wilde Kreuzungen spiegelt die komplexe Geschichte der Kartoffel wider – geprägt von Einschränkung und Erneuerung.

 

Zukunft der Kartoffelzüchtung

Die Erweiterung dieser engen genetischen Basis gestaltet sich schwierig. Wilde Arten enthalten oft unerwünschte Eigenschaften oder liefern nicht die gewünschten Qualitätsmerkmale. Wie die Autoren vorschlagen, könnte modernes Genome Editing hier eine Alternative bieten: Es erlaubt eine gezieltere Erweiterung des genetischen Potenzials der Kartoffel – sei es durch Einfügen nützlicher Eigenschaften oder durch Ausschalten schädlicher Genvarianten.

Diese Erkenntnisse haben nicht nur wissenschaftliche Relevanz, sondern auch rechtliche Auswirkungen – etwa bei der Definition, Abgrenzung und dem Schutz von Sorten im Rahmen des geistigen Eigentums.
 

Quelle: Sun et. al., 2025 - The Phased pan-genome of tetraploid European potato - https://www.nature.com/articles/s41586-025-08843-0