Az. 42 O 14139/24

Landgericht München I, Urteil vom 11. November 2025

Jeannette Lewandowski
Rechtsanwältin, LL.M.
München

Songtexte im KI-Modell: Was die Helene darf - und ChatGPT nicht

Das Landgericht München I hat mit Urteil vom 11. November 2025 (Az. 42 O 14139/24) eine wegweisende Entscheidung im Rechtsstreit zwischen der Verwertungsgesellschaft GEMA und dem KI-Anbieter OpenAI getroffen. Im Zentrum steht die Frage, ob und in welchem Umfang urheberrechtlich geschützte Songtexte in Sprachmodellen wie ChatGPT genutzt werden dürfen – insbesondere im Hinblick auf Training, Speicherung und anschließende Wiedergabe durch die KI. Das Urteil dürfte erhebliche Bedeutung für die Kreativbranche und für den zunehmenden Einsatz generativer KI-Systeme haben.

Hintergrund des Verfahrens war die Behauptung der GEMA, OpenAI habe beim Training von ChatGPT ganze, urheberrechtlich geschützte Liedtexte ohne Lizenz verwendet. Konkret betraf dies neun bekannte deutsche Songs, darunter Titel wie „Atemlos“ (Kristina Bach), „Männer“ (Herbert Grönemeyer), „Über den Wolken“ (Reinhard Mey) oder „Wie schön, dass du geboren bist“ (Rolf Zuckowski). Laut GEMA waren diese Texte nicht nur in den Trainingsdaten enthalten, sondern konnten von ChatGPT auf einfache Nutzereingaben (sogenannte Prompts) in weiten Teilen wiedergegeben werden (sogenannte Outputs).

OpenAI bestritt dagegen, die Songtexte in der Form gespeichert zu haben, wie es die GEMA darstellte. Das Unternehmen argumentierte, dass Sprachmodelle nicht ganze Werke „abspeichern“, sondern statistische Muster lernen. Die von Nutzern erzeugten Ausgaben seien das Ergebnis probabilistischer Berechnungen, nicht das blinde Abrufen abgelegter Textdateien. Zudem berief sich OpenAI auf mehrere urheberrechtliche Ausnahmen, insbesondere auf die Text und Data Mining-Schranke (§ 44b UrhG) und auf die Regelung des unwesentlichen Beiwerks (§ 57 UrhG).

Das Landgericht München I folgte jedoch weitgehend der Argumentation der GEMA. Entscheidend war nach Auffassung der 42. Zivilkammer die sogenannte „Memorisierung“ der Liedtexte durch das KI-Modell. Die Richter stellten fest, dass die Texte in den Parametern der Modelle (etwa GPT-4 bzw. GPT-4o) so verankert seien, dass sie wieder abrufbar sind, wenn Nutzer bestimmte Prompts eingeben. Angesichts der Länge, Komplexität und charakteristischen Struktur der Songtexte sei eine zufällige Wiedergabe praktisch ausgeschlossen.

Aus dieser Memorisierung leitete das Gericht eine unzulässige Vervielfältigung im Sinne des Urheberrechts ab (§ 16 UrhG bzw. nach der europäischen Richtlinie für geistige Eigentumsrechte, Art. 2 InfoSoc-RL). Aber nicht nur das: Auch die Ausgabe dieser Texte durch ChatGPT sah das Gericht als eigenständige Rechtsverletzung an. Denn wenn Nutzer per Prompt bestimmte Songtexte abrufen können, ist das nach Ansicht der Kammer eine Form der öffentlichen Zugänglichmachung – und damit eine urheberrechtlich relevante Handlung, für die OpenAI in der Verantwortung steht. Das Gericht wies OpenAIs Einwand zurück, die Nutzer seien verantwortlich, weil die Prompts von ihnen kämen. Vielmehr sei OpenAI als Betreiber der Architektur, des Trainingsdatensatzes und der Modellstruktur maßgeblich dafür verantwortlich, was das System ausgibt.

Zudem lehnte das Gericht die von OpenAI ins Feld geführten Ausnahmen ab. Die Text und Data Mining-Schrankenvorschrift (§ 44b UrhG) erlaube zwar grundsätzlich das Aufsuchen und Sammeln von Daten sowie die Auswertung urheberrechtlich geschützter Werke zu wissenschaftlichen oder datenanalytischen Zwecken. Doch nach Auffassung des Landgerichts sei das, was OpenAI mache, nicht nur Auswertung, sondern weit darüber hinausgehende Speicherung und dauerhafte Kopie ganzer Werke, die jederzeit abrufbar seien. Damit verletze die Nutzung die Verwertungsinteressen der Urheber gravierend. Auch die Berufung auf das unwesentliche Beiwerk (§ 57 UrhG) half nicht: Das Gericht betonte, dass die Songtexte keine nebensächlichen Bestandteile eines größeren Werkes seien, sondern eigenständige, schutzwürdige Inhalte mit einem eigenen urheberrechtlichen Wert.

In seinen Ausführungen stellte das Gericht klar, dass OpenAI die Kontrolle über Training, Daten und Architektur trägt – und deswegen auch für etwaige Rechtsverletzungen haftet. Die Richterin zog eine einfache, aber prägnante Analogie: Wenn man etwas bauen wolle und Bauteile brauche, dann müsse man sie erwerben und nicht das Eigentum anderer nutzen.* Hier liegt also kein zufälliger oder unbeabsichtigter Datenabruf vor, sondern eine geplante Nutzung geistigen Eigentums ohne Einwilligung oder Lizenzierung.

Das LG München I sprach der GEMA umfangreiche Ansprüche zu: OpenAI muss sich künftig unterlassen, die betreffenden Texte so wiederzugeben, und ist zu Auskunft über Umfang und Nutzung verpflichtet. Zudem bestehen Schadensersatzansprüche, da die Nutzung ohne Lizenz erfolgte. Persönlichkeitsrechtliche Ansprüche, etwa wegen fehlerhafter Zuschreibung veränderter Liedtexte, wies das Gericht hingegen ab.

Die Tragweite dieses Urteils ist groß: Es markiert einen klaren Rechtsbruch für Anbieter generativer KI, die urheberrechtlich geschützte Werke ohne Lizenz in ihre Trainingsdaten integrieren und in den Modellen speichern. Das Urteil sendet ein starkes Signal an die Tech-Industrie: Kreative Leistungen sind keine Gratis-Vorlage, nur weil sie für das Training künstlicher Intelligenz verwendet werden. Für Urheber und Verwertungsgesellschaften kann diese Entscheidung ein Durchbruch sein, um faire Vergütungen zu verhandeln, wenn ihre Werke im KI-Kontext genutzt werden sollen.

Darüber hinaus hat das Urteil auch Bedeutung für die rechtliche Einordnung von KI-Trainingsprozessen: Es zeigt, dass bestehende gesetzliche Ausnahmen wie die Text und Data Mining-Schranke nicht pauschal alle Formen der Nutzung erlauben – insbesondere nicht die dauerhafte Speicherung und die abrufbare Wiedergabe kompletter Werke. Damit besteht Handlungsbedarf – sowohl auf legislativer als auch auf vertraglicher Ebene – um die Nutzung kreativer Inhalte durch KI-Anbieter klar zu regeln.

Für KI-Anbieter ergibt sich aus dem Urteil eine zentrale Verpflichtung: Vor dem Einsatz urheberrechtlich geschützter Texte im Training sollten sie Lizenzvereinbarungen mit Rechteinhabern abschließen. Die Risiken, dies nicht zu tun, sind nicht nur rechtlich, sondern auch wirtschaftlich erheblich. Für Rechteinhaber wiederum schafft das Urteil eine verbesserte Verhandlungsposition: Sie können stärker auf Vergütung bestehen und die Bedingungen der Nutzung mitbestimmen.

Da das Urteil noch nicht rechtskräftig ist, ist eine Berufung von OpenAI nicht auszuschließen. Dennoch dürfte der Fall bereits jetzt als Referenz für künftige KI-Rechtsstreitigkeiten dienen – nicht nur im Musikbereich, sondern auch in anderen kreativen Sparten wie Literatur, bildender Kunst oder Fotografie. Er beendet den Mythos, KI dürfe sich ungefragt an urheberrechtlich geschützten Texten bedienen, und setzt einen klaren Rahmen für die Balance zwischen Innovation und Schutz geistigen Eigentums.